56 Jahre - was für eine Zeit, wenn ich diese Zahl so höre, schreibe, lese. Doch will ich sie als Lebenszeit fass, finde ich lediglich Momente, so als würde meine Lebenszeit aus vielen Augenblicken bestehen, nicht aus Jahren oder Tagen. Erzähle ich von den Momentaufnahmen in mir, werden diese zu Geschichten in den Ohren der Zuhörenden. In mir aber sind sie als emotionale Päckchen abgelagert, gehortet und mittlerweile auch recht gut sortiert. Zum Beispiel, wenn ich das Wort "Kindheit" denke, taucht ein warm-gelb verpacktes Erinnerungsstück auf - das Umgebindehaus von Tante Alma, der Oberlausitzer Dialekt schwingt in mir, ich rieche Malzkaffee, schmecke Milchbrötchen, Nelkenäpfel, Mohnkuchen und Eierschecke. Ich fühle die warmen Sommer, sehe die Wege über Felder und Wiesen hin zum Freibad, höre das Lachen und Kreischen vom Wasser her.
Es gibt ein anderes Päckchen in dieser Rubrik, was früher schwarz-grau verpackt war, heute aber in einem angenehmen Tiefblau mit Lichtflecken beklebt im Regal liegt: die Schulzeit, das Berliner zu Hause bei den Eltern und der Schwester (die ist für einige Lichtflecken verantwortlich).
So kann ich meine gelebten Jahre anschauen, sie vergehen nicht, verändern sich aber durch meine Art der Draufsicht. Das heißt, ich werte sie anders mit jeder neuen Lebenszeit.
Mein Ziel ist das Aussöhnen mit allen Augenblicken, um in mir selbst endlich Ruhe zu haben und Platz für mein Lachen und die Albernheiten, aus denen ich ursprünglich und recht eigentlich gemacht bin. In den letzten Jahren bin ich wesentlich dichter zu mir vorgedrungen. Das Lachen bleibt seltener stecken, es darf hinaus und rumort nicht mehr so oft in meinen Eingeweiden, klammert sich nicht mehr an mein Herz. Das schlägt wohl auch deshalb ruhiger und kann fühlen, wenn es von Gottes Blicken gestreichelt wird. Dann schnurrt es wie eine Katze und macht mich zu einem lachenden Wesen, was herumalbert, als hätte es einen Clown gefrühstückt, zum Mittag Ulknudeln verspeist und am Abend noch Scherzkekse genascht:
Was für ein lebenswertes Leben!
Samstag, 19. September 2015
Montag, 6. Juli 2015
Gedankenfrei
Heute ist Gedankenfrei… was heißt das wohl? Habe ich keine
Gedanken, lasse ich sie frei herumtrudeln oder dürfen vor allem freie Gedanken
in mir sein? Sind sie noch frei, wenn sie sich in meinem Kopf zeigen? Sie
werden hier zu Sätzen gebunden und sichtbar gemacht, in dem ich sie ausspreche
oder aufschreibe. Vielleicht sind Gedanken lediglich Transporter für freie
Ideen, frei machende Ideen… Eine davon hakt sich in mir fest, lässt sich vom
Denken formatieren zu einer fragenden Erkenntnis: Wer kann mir die Freiheit
geben? Wer, außer mir?
Kann ich diese Frage wirklich beantworten, wo ich selbst
noch nie in einem Gefängnis fest saß, KZ-Lager nur als Denkstätten erlebte?
Mein Geburtsland DDR wird heutzutage oft mit einem Gefängnis verglichen, als
unfreies Land betitelt, es war ein besetztes Land. Doch überall herrschen
Regeln – auch in der zur BRD verwandelten DDR: in der Schule, bei der Arbeit,
im Straßenverkehr – überall wachen sogenannte Autoritäten über das Einhalten
von Regeln, lassen freies Reden nur ungern zu. Es gibt Momente, da ließ ich
mich davon nicht beeindrucken und redete „frei heraus“, andere Male blieb ich
lieber still oder ich versuchte, fremde Ideen zu meinen eigenen zu wandeln,
vielleicht auch deshalb, mich frei zu fühlen.
Mein Fazit aus dem Erlebten, aus Beobachteten und aus
Erzählungen anderer Menschen bleibt: nur ich selbst kann mich als frei oder
gefangen ansehen. Mir scheint, als würden die Umstände nichts damit zu tun
haben. Bin nicht ich es, die Situationen so oder so bewertet? Ja, bis auf weiteres
bin ich davon überzeugt, dass mich meine Gedanken in Fesseln legen oder mich
Ketten ablegen lassen.
Ich schreibe das mit dem Vorbehalt „bis auf weiteres“, denn
ich weiß, dass nichts fest ist, für immer und ewig Gültigkeit hat, nichts ist
sicher. Eventuell komme ich in eine Situation, die mich anders denken lässt
oder die dafür da ist, meine jetzige Überzeugung bis in meine tiefsten
Dunkelstellen zu bringen, um mich ganz und gar von dem freien Sein ausfüllen zu
können.
Wie ich mir dieses freie Sein so vorstelle und ausmale,
komme ich auf eine nächste Idee, die sich wiederum nur als Frage stellen lässt:
ist das Sterben, der Tod letztendlich die Möglichkeit, ins freie Sein zu
kommen? Bindet mich Materie nicht immer und sind Gedanken nicht stets auch
schon gegenständlich, wie ich am Anfang dieser Frei-Gedanken-Zeit feststellte?
Fragen immer nur Fragen. Ich stelle sie, um Festgesetztes
ins Wanken zu bringen, um hinter Kulissen schauen zu können, also hinter-frage
ich. Fragen scheinen mich mehr erkennen und lernen zu lassen, als Antworten. So
kommen Fragen als Befreier in meinen Kopf, sie öffnen verschlossene Türen und
lassen mich überall hin denken. Antworten setzen Grenzen. Aber auch das ist gut
so, denn das grenzenlose Sein will ausgehalten sein, nichts da zum Festhalten,
zum Greifen und Begreifen. So ein grenzenloser Zustand kann mich schnell
verrücken lassen, mich verrückt werden lassen und bisher bin ich dafür noch
nicht bereit. So nehme ich mir die Zeit für grenzenlose Fragen und komme dann
flink wieder zurück zur haltgebenden Antwort, und wenn sie nur heißt: Ich weiß
nicht.
Freitag, 26. Juni 2015
Licht in den Gedanken-Keller
Das eigene Wesen erkennen, Licht ins unermessliche Dunkel
des Innern bringen – wozu soll das gut sein? Schulterzucken meinerseits, denn
ich kann das nur für mich beantworten, für andere wird die Antwort anders
formuliert sein. Ich kann im Dunkeln nicht so gut sehen, fische im Trüben,
finde dort schlecht etwas. Gedanken können sich dort verlustieren, mich aus
diesem Versteck heraus überfallen, um mich klein zu machen, zu verängstigen und
mich von mir wegzurücken – verrückt werde ich dabei. Zusätzlich machen mich
diese ungesehenen Gedanken schwer, bürden mir die Lasten auf. Wie soll ich so
leicht leben, fröhlich sein können, gleichmütig sein? (Gleich im Gemüt sein
oder den gleichen Mut beibehalten? Egal, am besten Beides)
Manchmal vergleiche ich meine Gedankenwelt mit einem Haus
und ich will keinen dunklen Keller in diesem Haus haben. Ein Keller, in dem ich
nicht überall Licht machen kann – ein Graus aus der Kindheit. Diese Gänge, in
denen erst nach einigen Metern der nächste Lichtschalter war, der Kellerraum,
in dem es gerade in den finstersten Ecken besonders prölig und unaufgeräumt war.
Ich fühlte mich wie in einer Gruft, aus der gruselige Geister auf mich stürzen
würden und besonders schlimm war, dass ich keine Übersicht hatte. Woher würde
das Böse über mich kommen?
Wer will schon mit so einer Gedankenwelt leben? Ich
nicht. Ich möchte sie überschauen können, meine Gedanken dorthin lenken, wo sie
mir gut tun. Krankmachende Ideen erkennen und die Fiesen, die alles vergiften,
die will ich rauswerfen können. Ich will wissen, warum ich mich für etwas
entscheide und, selbst wenn ich es nicht weiß, will ich wenigstens wissen, dass
ich es nicht weiß… Kann ich nicht alle Ecken in mir ausleuchten, will ich sie
jedoch kennen.
Nabelschau? Für niemanden nützlich? Bin ich Niemand? Egal,
für mich ist diese Schau notwendig, wichtig. Das, was ich über mich erkenne,
kann ich verarbeiten, mitteilen, mit anderen teilen. Ich nerve mich weniger und
damit ganz sicher auch den Rest der Welt. Vielleicht bringe ich andere Menschen
auf Ideen, die sie aus ihrem eigenen Dickicht führen.
Lasse ich den dunklen Gedanken weniger Raum, entziehe ihnen
die Nahrung, sorge ich dafür, dass sich schwarze Schwingungen in dieser Welt
seltener verbreiten können.
Unterschätzt die Macht des Denkens nicht. Unsere Welt ist
aus Vorstellungen, Träumen, Ideen erbaut. Jedes Haus, die Tassen und Kleidung –
alles wurde erst erdacht. Wer weiß, vielleicht sogar die Pflanzen, Tiere und
Menschen?
Und dann, wenn ich also in meinem Gedankenhaus herrsche, jedes Zimmer, den Keller und Boden gern betrete und auch nach freiem
Willen verlassen kann – dann trete ich hin und wieder aus diesem Haus heraus. Und
plötzlich höre ich den Kuckucksruf, die Glockenblumen läuten oder die verlebten
Blüten der Lonicera fallen. Ich rieche den Regen und das frisch gemähte Gras.
Allein dafür lohnt es sich, hin und wieder im Oberstübchen aufzuräumen.
Donnerstag, 14. Mai 2015
Reif
Auf
meinen Kopf legt sich der Reif
reif
mein Herz jetzt wird und ich begreif
dass
all mein Leben Vorarbeit nur war
und
alles Streben ohne Sinn.
Hinfällig
das Wissen im Kopf
nur
Gedöhns und Geklopf von Sprüchen
Sprache
in den Wahnsinn getrieben
geblieben
nichts, was sich zum Bleiben lohnt
entthront
der Verstand.
Versteh
jetzt das Sehen des Unsichtbaren
keine
Waren zum Fassen oder Halten
gestalten
das Nichts aus tausend Seelen
sich
vermählen mit dem Augenblick
und
kein Zurück mehr, keine Schau nach hinten.
Erst
recht nicht nach vorn,
verlorn
ginge ich mir wieder
verschwör
mich dem Sein
seiend
jetzt und frei in der Liebe
kein
Denken, dass es auf immer so bliebe
es
triebe mich wieder so endlos fort.
Kein
Sehnen, kein Hoffen
betroffen
nur vom Moment
der
allein kennt sich aus in der Welt
die
voll erhellt den Frieden hat
und
kein Blatt mehr braucht
um
es vorzuhalten.
Entfalten
kann sich hier mein Wesen
und
ohne Reifen ums Herz endlich genesen.
Sonntag, 10. Mai 2015
Wichtig
Je wichtiger wir Menschen uns nehmen, umso deutlicher wird uns vom Leben gezeigt, wie wenig wichtig wir sind.
Panta Rhei - Alles fließt
Welch geniale Erkenntnis und doch zur hohlen Phrase
verkommen. Nur in Köpfen geparkt, um den eigenen Bildungsstand anzuzeigen, sich
klug oder gar weise zu geben. Weil sie im eigenen Kopf herumliegt, ist sie
noch lange nicht verinnerlicht. Der Gewöhnlichkeit zum Fraß
vorgeworfen und unverdaut ausgeschieden. Aber eben- weil alles fließt, gibt es
eine nächste Chance: wieder trifft diese Erkenntnis der Ahnen auf die modernen Köpfe,
immer und immer. Bis Einer durchlässig ist. Er nimmt das Fließen im eigenen
Körper wahr, seine Seele darf fühlen, erwachen im bewussten Sein und er versteht ohne Verstand: Leben findet im Spannungsfeld von Plus und Minus statt. Ständiger Aufbau,
ständiges Binden, ständig Zerfall und Entbinden. Und das Menschlein ist Teil
des Lebens, mittendrin und sinnlos sein Wehren, das sich Gegen-Stemmen, denn
alles muss fließen.
Keine Kraft aufwenden, sie nutzen; in ihrem Strom
sein, das Strömen als Schwung fühlen und sich schwingen lassen – dorthin, wo
das Leben es will. Egal, ob der Verstand es fassen kann, lass die Vernunft
empört aufschreien. Es ist, wie es ist. Alles schon geschehen, noch bevor der
Kopf es mitbekommt. Auf diese Weise, endlich, zum Vertrauen gelangen. Nicht zu jemandem,
nicht zu etwas. Was zu fassen ist, zerfällt, Menschen verschwinden. Ins stete Fließen
sein Vertrauen gießen.
Montag, 13. April 2015
Gedanken-Subotnik
Jeder Mensch macht doch
wenigstens hin und wieder seine Wohnung sauber. Es wird aufgeräumt, auch einmal
entrümpelt, unter den Betten Staub gesaugt, hinter den Schränken die Spinnweben
weggefegt und auch einmal unter dem Teppich geschaut, ob da nicht unliebsame
Mitbewohner leben.
Ähnlich verhalten sich die
meisten Menschen ihrem Körper gegenüber. Er wird gereinigt, gepflegt, mit
Kleidung geschützt, hin und wieder ganz nackt gelassen, um ihn in der Sauna, in
der Sonne oder im Wasser von allem Überflüssigen zu befreien. Es wird auch
gefastet, entschlackt, entsäuert und was es an gesundheitlichen Finessen noch
so alles gibt. Auch Ruhe wird ihm gegönnt.
Nur im ureigensten Oberstübchen
gibt es keine Säuberung; kein Subotnik wird anberaumt. Hier sind fast alle
Menschen Messis. Kein Gedanke wird als überholt oder veraltet wahrgenommen, erst
recht nicht hinausgeworfen. Alle Denkmuster werden gehortet, gestapelt oder
einfach übereinander geworfen – so dass es nirgends einen Überblick gibt,
welche Idee mit welchem Gedanken anbandelt, und dann Ungeheuer, Parasiten oder
wunderschöne Blumen zeugt. Im menschlichen Gedankenhaus herrscht nicht etwa
Anarchie – das wäre ja schon wenigstens etwas. Da hätte jeder Gedanke einmal
die Möglichkeit, an die Macht zu kommen; zwar unkontrolliert doch wenigstens
ohne die fette Tante Gewohnheit. Nein, ein scheinbares Chaos wird von den Lieblingen
der Gewohnheit regiert, sie hängen an ihren Strippen wie Marionetten und tanzen
nach ihrer Melodie. Weil nie aufgeräumt wird, keinerlei Ordnung geschaffen,
weiß auch kaum ein Mensch um die Gedanken im Untergrund.
Wenn ein Mensch gut ist, weiß er
wenigstens, was im 1. Stock gedacht wird. Aber schon im Erdgeschoss sind die
Fensterläden zu, die Türen fest verschlossen und im Keller ist es zappenduster.
Hinter schwergängigen Eisentüren werden die dümmsten Ideen gelagert, dümpelt
Geistesgut griesgrämig vor sich hin, Grübeleien graben tiefere Gedankengänge
aus denen es kein Entrinnen gibt. Nichts mit Gedankenflügen, denn die Flügel sind
verstaubt und entkräftet vom Umherliegen.
Mit den Jahrzehnten so eines
Menschenlebens versiffen die Ideen. Aus Phantasie und Bildung werden Hirngespinste,
die jeden Nerv umgarnen. Aus dem Oberstübchen verklingen die Signale, der Geist
ist umnachtet, der Körper verfällt. Es sind schicke Namen für diese Vorgänge
entwickelt worden – Alzheimer, Depression, Morbus Parkinson, Alterssenilität
usw.
Hygiene wird in deutschen Landen
riesengroß geschrieben und ist in Maßen eine feine Sache, wenn sie an verschiedenen
Orten eingesetzt und so auch wieder maßvoll werden würde. Ab in die Köpfe mit
Staubsauger, Wischeimer und Mülltonnen davor gestellt: die Lumpen in den Müll,
Verrottetes auf den Kompost, Lüften und Entstauben. Alle Türen öffnen, Räume
für einzelne Gedankenwelten klar machen und nur keine Regale oder Schränke aufstellen.
Gedanken veralten schneller als Socken oder Schlüpfer, die brauchen gar nicht
erst lange eingelagert werden. Und künftig kann dann jeder regelmäßig allen
Stockwerken seines Oberstübchens konkrete Besuche abstatten, sich mit dem
auseinandersetzen, was da so gedacht wird und gleich wieder Freiräume schaffen.
Gut, gut – ich weiß, ich bin eine
Träumerin. Aber bei mir selbst kann ich ja schon einmal mit diesem
Aufräum-Traum anfangen, ihn entträumen und als Tat sichtbar werden lassen. Und
weil ich das bereits einige Jahre betreibe, kann ich manchmal schon drei
Schichten mit einem Mal beaufsichtigen. Ich weiß, was im Untergrund gedacht
wird, während dessen ich zum Beispiel mit Zähneputzen beschäftigt bin und
nebenher auch noch den Schmutz auf dem Waschbecken begutachte und einen Plan
fürs Badputzen entwickle. Irgendwann kann ich dann die Kraft aller zugleich laufenden
Kopfarbeiten zu einer zusammenfügen und bin endlich Herrscherin über mich und
mein Selbst. Das ist mein Ziel, deshalb bin ich hier.
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