Samstag, 19. September 2015

Geburtstags-Tag-Gedanken

56 Jahre - was für eine Zeit, wenn ich diese Zahl so höre, schreibe, lese. Doch will ich sie als Lebenszeit fass, finde ich lediglich Momente, so als würde meine Lebenszeit aus vielen Augenblicken bestehen, nicht aus Jahren oder Tagen. Erzähle ich von den Momentaufnahmen in mir, werden diese zu Geschichten in den Ohren der Zuhörenden. In mir aber sind sie als emotionale Päckchen abgelagert, gehortet und mittlerweile auch recht gut sortiert. Zum Beispiel, wenn ich das Wort "Kindheit" denke, taucht ein warm-gelb verpacktes Erinnerungsstück auf - das Umgebindehaus von Tante Alma, der Oberlausitzer Dialekt schwingt in mir, ich rieche Malzkaffee, schmecke Milchbrötchen, Nelkenäpfel, Mohnkuchen und Eierschecke. Ich fühle die warmen Sommer, sehe die Wege über Felder und Wiesen hin zum Freibad, höre das Lachen und Kreischen vom Wasser her.
Es gibt ein anderes Päckchen in dieser Rubrik, was früher schwarz-grau verpackt war, heute aber in einem angenehmen Tiefblau mit Lichtflecken beklebt im Regal liegt: die Schulzeit, das Berliner zu Hause bei den Eltern und der Schwester (die ist für einige Lichtflecken verantwortlich).
So kann ich meine gelebten Jahre anschauen, sie vergehen nicht, verändern sich aber durch meine Art der Draufsicht. Das heißt, ich werte sie anders mit jeder neuen Lebenszeit.
Mein Ziel ist das Aussöhnen mit allen Augenblicken, um in mir selbst endlich Ruhe zu haben und Platz für mein Lachen und die Albernheiten, aus denen ich ursprünglich und recht eigentlich gemacht bin. In den letzten Jahren bin ich wesentlich dichter zu mir vorgedrungen. Das Lachen bleibt seltener stecken, es darf hinaus und rumort nicht mehr so oft in meinen Eingeweiden, klammert sich nicht mehr an mein Herz. Das schlägt wohl auch deshalb ruhiger und kann fühlen, wenn es von Gottes Blicken gestreichelt wird. Dann schnurrt es wie eine Katze und macht mich zu einem lachenden Wesen, was herumalbert, als hätte es einen Clown gefrühstückt, zum Mittag Ulknudeln verspeist und am Abend noch Scherzkekse genascht:
Was für ein lebenswertes Leben!

Montag, 6. Juli 2015

Gedankenfrei



Heute ist Gedankenfrei… was heißt das wohl? Habe ich keine Gedanken, lasse ich sie frei herumtrudeln oder dürfen vor allem freie Gedanken in mir sein? Sind sie noch frei, wenn sie sich in meinem Kopf zeigen? Sie werden hier zu Sätzen gebunden und sichtbar gemacht, in dem ich sie ausspreche oder aufschreibe. Vielleicht sind Gedanken lediglich Transporter für freie Ideen, frei machende Ideen… Eine davon hakt sich in mir fest, lässt sich vom Denken formatieren zu einer fragenden Erkenntnis: Wer kann mir die Freiheit geben? Wer, außer mir?
Kann ich diese Frage wirklich beantworten, wo ich selbst noch nie in einem Gefängnis fest saß, KZ-Lager nur als Denkstätten erlebte? Mein Geburtsland DDR wird heutzutage oft mit einem Gefängnis verglichen, als unfreies Land betitelt, es war ein besetztes Land. Doch überall herrschen Regeln – auch in der zur BRD verwandelten DDR: in der Schule, bei der Arbeit, im Straßenverkehr – überall wachen sogenannte Autoritäten über das Einhalten von Regeln, lassen freies Reden nur ungern zu. Es gibt Momente, da ließ ich mich davon nicht beeindrucken und redete „frei heraus“, andere Male blieb ich lieber still oder ich versuchte, fremde Ideen zu meinen eigenen zu wandeln, vielleicht auch deshalb, mich frei zu fühlen.
Mein Fazit aus dem Erlebten, aus Beobachteten und aus Erzählungen anderer Menschen bleibt: nur ich selbst kann mich als frei oder gefangen ansehen. Mir scheint, als würden die Umstände nichts damit zu tun haben. Bin nicht ich es, die Situationen so oder so bewertet? Ja, bis auf weiteres bin ich davon überzeugt, dass mich meine Gedanken in Fesseln legen oder mich Ketten ablegen lassen.
Ich schreibe das mit dem Vorbehalt „bis auf weiteres“, denn ich weiß, dass nichts fest ist, für immer und ewig Gültigkeit hat, nichts ist sicher. Eventuell komme ich in eine Situation, die mich anders denken lässt oder die dafür da ist, meine jetzige Überzeugung bis in meine tiefsten Dunkelstellen zu bringen, um mich ganz und gar von dem freien Sein ausfüllen zu können.
Wie ich mir dieses freie Sein so vorstelle und ausmale, komme ich auf eine nächste Idee, die sich wiederum nur als Frage stellen lässt: ist das Sterben, der Tod letztendlich die Möglichkeit, ins freie Sein zu kommen? Bindet mich Materie nicht immer und sind Gedanken nicht stets auch schon gegenständlich, wie ich am Anfang dieser Frei-Gedanken-Zeit feststellte?
Fragen immer nur Fragen. Ich stelle sie, um Festgesetztes ins Wanken zu bringen, um hinter Kulissen schauen zu können, also hinter-frage ich. Fragen scheinen mich mehr erkennen und lernen zu lassen, als Antworten. So kommen Fragen als Befreier in meinen Kopf, sie öffnen verschlossene Türen und lassen mich überall hin denken. Antworten setzen Grenzen. Aber auch das ist gut so, denn das grenzenlose Sein will ausgehalten sein, nichts da zum Festhalten, zum Greifen und Begreifen. So ein grenzenloser Zustand kann mich schnell verrücken lassen, mich verrückt werden lassen und bisher bin ich dafür noch nicht bereit. So nehme ich mir die Zeit für grenzenlose Fragen und komme dann flink wieder zurück zur haltgebenden Antwort, und wenn sie nur heißt: Ich weiß nicht.

Freitag, 26. Juni 2015

Licht in den Gedanken-Keller



Das eigene Wesen erkennen, Licht ins unermessliche Dunkel des Innern bringen – wozu soll das gut sein? Schulterzucken meinerseits, denn ich kann das nur für mich beantworten, für andere wird die Antwort anders formuliert sein. Ich kann im Dunkeln nicht so gut sehen, fische im Trüben, finde dort schlecht etwas. Gedanken können sich dort verlustieren, mich aus diesem Versteck heraus überfallen, um mich klein zu machen, zu verängstigen und mich von mir wegzurücken – verrückt werde ich dabei. Zusätzlich machen mich diese ungesehenen Gedanken schwer, bürden mir die Lasten auf. Wie soll ich so leicht leben, fröhlich sein können, gleichmütig sein? (Gleich im Gemüt sein oder den gleichen Mut beibehalten? Egal, am besten Beides)
Manchmal vergleiche ich meine Gedankenwelt mit einem Haus und ich will keinen dunklen Keller in diesem Haus haben. Ein Keller, in dem ich nicht überall Licht machen kann – ein Graus aus der Kindheit. Diese Gänge, in denen erst nach einigen Metern der nächste Lichtschalter war, der Kellerraum, in dem es gerade in den finstersten Ecken besonders prölig und unaufgeräumt war. Ich fühlte mich wie in einer Gruft, aus der gruselige Geister auf mich stürzen würden und besonders schlimm war, dass ich keine Übersicht hatte. Woher würde das Böse über mich kommen? 
Wer will schon mit so einer Gedankenwelt leben? Ich nicht. Ich möchte sie überschauen können, meine Gedanken dorthin lenken, wo sie mir gut tun. Krankmachende Ideen erkennen und die Fiesen, die alles vergiften, die will ich rauswerfen können. Ich will wissen, warum ich mich für etwas entscheide und, selbst wenn ich es nicht weiß, will ich wenigstens wissen, dass ich es nicht weiß… Kann ich nicht alle Ecken in mir ausleuchten, will ich sie jedoch kennen.
Nabelschau? Für niemanden nützlich? Bin ich Niemand? Egal, für mich ist diese Schau notwendig, wichtig. Das, was ich über mich erkenne, kann ich verarbeiten, mitteilen, mit anderen teilen. Ich nerve mich weniger und damit ganz sicher auch den Rest der Welt. Vielleicht bringe ich andere Menschen auf Ideen, die sie aus ihrem eigenen Dickicht führen.
Lasse ich den dunklen Gedanken weniger Raum, entziehe ihnen die Nahrung, sorge ich dafür, dass sich schwarze Schwingungen in dieser Welt seltener verbreiten können.
Unterschätzt die Macht des Denkens nicht. Unsere Welt ist aus Vorstellungen, Träumen, Ideen erbaut. Jedes Haus, die Tassen und Kleidung – alles wurde erst erdacht. Wer weiß, vielleicht sogar die Pflanzen, Tiere und Menschen?
Und dann, wenn ich also in meinem Gedankenhaus herrsche, jedes Zimmer, den Keller und Boden gern betrete und auch nach freiem Willen verlassen kann – dann trete ich hin und wieder aus diesem Haus heraus. Und plötzlich höre ich den Kuckucksruf, die Glockenblumen läuten oder die verlebten Blüten der Lonicera fallen. Ich rieche den Regen und das frisch gemähte Gras. Allein dafür lohnt es sich, hin und wieder im Oberstübchen aufzuräumen.

Donnerstag, 14. Mai 2015

Reif



Auf meinen Kopf legt sich der Reif
reif mein Herz jetzt wird und ich begreif
dass all mein Leben Vorarbeit nur war
und alles Streben ohne Sinn.

Hinfällig das Wissen im Kopf
nur Gedöhns und Geklopf von Sprüchen
Sprache in den Wahnsinn getrieben
geblieben nichts, was sich zum Bleiben lohnt
entthront der Verstand.

Versteh jetzt das Sehen des Unsichtbaren
keine Waren zum Fassen oder Halten
gestalten das Nichts aus tausend Seelen
sich vermählen mit dem Augenblick
und kein Zurück mehr, keine Schau nach hinten.

Erst recht nicht nach vorn,
verlorn ginge ich mir wieder
verschwör mich dem Sein
seiend jetzt und frei in der Liebe
kein Denken, dass es auf immer so bliebe
es triebe mich wieder so endlos fort.

Kein Sehnen, kein Hoffen
betroffen nur vom Moment
der allein kennt sich aus in der Welt
die voll erhellt den Frieden hat
und kein Blatt mehr braucht
um es vorzuhalten.

Entfalten kann sich hier mein Wesen
und ohne Reifen ums Herz endlich genesen.

Sonntag, 10. Mai 2015

Wichtig

Je wichtiger wir Menschen uns nehmen, umso deutlicher wird uns vom Leben gezeigt, wie wenig wichtig wir sind.

Panta Rhei - Alles fließt



Welch geniale Erkenntnis und doch zur hohlen Phrase verkommen. Nur in Köpfen geparkt, um den eigenen Bildungsstand anzuzeigen, sich klug oder gar weise zu geben. Weil sie im eigenen Kopf herumliegt, ist sie noch lange nicht verinnerlicht. Der Gewöhnlichkeit zum Fraß vorgeworfen und unverdaut ausgeschieden. Aber eben- weil alles fließt, gibt es eine nächste Chance: wieder trifft diese Erkenntnis der Ahnen auf die modernen Köpfe, immer und immer. Bis Einer durchlässig ist. Er nimmt das Fließen im eigenen Körper wahr, seine Seele darf fühlen, erwachen im bewussten Sein und er versteht ohne Verstand: Leben findet im Spannungsfeld von Plus und Minus statt. Ständiger Aufbau, ständiges Binden, ständig Zerfall und Entbinden. Und das Menschlein ist Teil des Lebens, mittendrin und sinnlos sein Wehren, das sich Gegen-Stemmen, denn alles muss fließen.
Keine Kraft aufwenden, sie nutzen; in ihrem Strom sein, das Strömen als Schwung fühlen und sich schwingen lassen – dorthin, wo das Leben es will. Egal, ob der Verstand es fassen kann, lass die Vernunft empört aufschreien. Es ist, wie es ist. Alles schon geschehen, noch bevor der Kopf es mitbekommt. Auf diese Weise, endlich, zum Vertrauen gelangen. Nicht zu jemandem, nicht zu etwas. Was zu fassen ist, zerfällt, Menschen verschwinden. Ins stete Fließen sein Vertrauen gießen.

Montag, 13. April 2015

Gedanken-Subotnik



Jeder Mensch macht doch wenigstens hin und wieder seine Wohnung sauber. Es wird aufgeräumt, auch einmal entrümpelt, unter den Betten Staub gesaugt, hinter den Schränken die Spinnweben weggefegt und auch einmal unter dem Teppich geschaut, ob da nicht unliebsame Mitbewohner leben.
Ähnlich verhalten sich die meisten Menschen ihrem Körper gegenüber. Er wird gereinigt, gepflegt, mit Kleidung geschützt, hin und wieder ganz nackt gelassen, um ihn in der Sauna, in der Sonne oder im Wasser von allem Überflüssigen zu befreien. Es wird auch gefastet, entschlackt, entsäuert und was es an gesundheitlichen Finessen noch so alles gibt. Auch Ruhe wird ihm gegönnt.
Nur im ureigensten Oberstübchen gibt es keine Säuberung; kein Subotnik wird anberaumt. Hier sind fast alle Menschen Messis. Kein Gedanke wird als überholt oder veraltet wahrgenommen, erst recht nicht hinausgeworfen. Alle Denkmuster werden gehortet, gestapelt oder einfach übereinander geworfen – so dass es nirgends einen Überblick gibt, welche Idee mit welchem Gedanken anbandelt, und dann Ungeheuer, Parasiten oder wunderschöne Blumen zeugt. Im menschlichen Gedankenhaus herrscht nicht etwa Anarchie – das wäre ja schon wenigstens etwas. Da hätte jeder Gedanke einmal die Möglichkeit, an die Macht zu kommen; zwar unkontrolliert doch wenigstens ohne die fette Tante Gewohnheit. Nein, ein scheinbares Chaos wird von den Lieblingen der Gewohnheit regiert, sie hängen an ihren Strippen wie Marionetten und tanzen nach ihrer Melodie. Weil nie aufgeräumt wird, keinerlei Ordnung geschaffen, weiß auch kaum ein Mensch um die Gedanken im Untergrund.
Wenn ein Mensch gut ist, weiß er wenigstens, was im 1. Stock gedacht wird. Aber schon im Erdgeschoss sind die Fensterläden zu, die Türen fest verschlossen und im Keller ist es zappenduster. Hinter schwergängigen Eisentüren werden die dümmsten Ideen gelagert, dümpelt Geistesgut griesgrämig vor sich hin, Grübeleien graben tiefere Gedankengänge aus denen es kein Entrinnen gibt. Nichts mit Gedankenflügen, denn die Flügel sind verstaubt und entkräftet vom Umherliegen.
Mit den Jahrzehnten so eines Menschenlebens versiffen die Ideen. Aus Phantasie und Bildung werden Hirngespinste, die jeden Nerv umgarnen. Aus dem Oberstübchen verklingen die Signale, der Geist ist umnachtet, der Körper verfällt. Es sind schicke Namen für diese Vorgänge entwickelt worden – Alzheimer, Depression, Morbus Parkinson, Alterssenilität usw.
Hygiene wird in deutschen Landen riesengroß geschrieben und ist in Maßen eine feine Sache, wenn sie an verschiedenen Orten eingesetzt und so auch wieder maßvoll werden würde. Ab in die Köpfe mit Staubsauger, Wischeimer und Mülltonnen davor gestellt: die Lumpen in den Müll, Verrottetes auf den Kompost, Lüften und Entstauben. Alle Türen öffnen, Räume für einzelne Gedankenwelten klar machen und nur keine Regale oder Schränke aufstellen. Gedanken veralten schneller als Socken oder Schlüpfer, die brauchen gar nicht erst lange eingelagert werden. Und künftig kann dann jeder regelmäßig allen Stockwerken seines Oberstübchens konkrete Besuche abstatten, sich mit dem auseinandersetzen, was da so gedacht wird und gleich wieder Freiräume schaffen.
Gut, gut – ich weiß, ich bin eine Träumerin. Aber bei mir selbst kann ich ja schon einmal mit diesem Aufräum-Traum anfangen, ihn entträumen und als Tat sichtbar werden lassen. Und weil ich das bereits einige Jahre betreibe, kann ich manchmal schon drei Schichten mit einem Mal beaufsichtigen. Ich weiß, was im Untergrund gedacht wird, während dessen ich zum Beispiel mit Zähneputzen beschäftigt bin und nebenher auch noch den Schmutz auf dem Waschbecken begutachte und einen Plan fürs Badputzen entwickle. Irgendwann kann ich dann die Kraft aller zugleich laufenden Kopfarbeiten zu einer zusammenfügen und bin endlich Herrscherin über mich und mein Selbst. Das ist mein Ziel, deshalb bin ich hier.