Montag, 13. April 2015

Gedanken-Subotnik



Jeder Mensch macht doch wenigstens hin und wieder seine Wohnung sauber. Es wird aufgeräumt, auch einmal entrümpelt, unter den Betten Staub gesaugt, hinter den Schränken die Spinnweben weggefegt und auch einmal unter dem Teppich geschaut, ob da nicht unliebsame Mitbewohner leben.
Ähnlich verhalten sich die meisten Menschen ihrem Körper gegenüber. Er wird gereinigt, gepflegt, mit Kleidung geschützt, hin und wieder ganz nackt gelassen, um ihn in der Sauna, in der Sonne oder im Wasser von allem Überflüssigen zu befreien. Es wird auch gefastet, entschlackt, entsäuert und was es an gesundheitlichen Finessen noch so alles gibt. Auch Ruhe wird ihm gegönnt.
Nur im ureigensten Oberstübchen gibt es keine Säuberung; kein Subotnik wird anberaumt. Hier sind fast alle Menschen Messis. Kein Gedanke wird als überholt oder veraltet wahrgenommen, erst recht nicht hinausgeworfen. Alle Denkmuster werden gehortet, gestapelt oder einfach übereinander geworfen – so dass es nirgends einen Überblick gibt, welche Idee mit welchem Gedanken anbandelt, und dann Ungeheuer, Parasiten oder wunderschöne Blumen zeugt. Im menschlichen Gedankenhaus herrscht nicht etwa Anarchie – das wäre ja schon wenigstens etwas. Da hätte jeder Gedanke einmal die Möglichkeit, an die Macht zu kommen; zwar unkontrolliert doch wenigstens ohne die fette Tante Gewohnheit. Nein, ein scheinbares Chaos wird von den Lieblingen der Gewohnheit regiert, sie hängen an ihren Strippen wie Marionetten und tanzen nach ihrer Melodie. Weil nie aufgeräumt wird, keinerlei Ordnung geschaffen, weiß auch kaum ein Mensch um die Gedanken im Untergrund.
Wenn ein Mensch gut ist, weiß er wenigstens, was im 1. Stock gedacht wird. Aber schon im Erdgeschoss sind die Fensterläden zu, die Türen fest verschlossen und im Keller ist es zappenduster. Hinter schwergängigen Eisentüren werden die dümmsten Ideen gelagert, dümpelt Geistesgut griesgrämig vor sich hin, Grübeleien graben tiefere Gedankengänge aus denen es kein Entrinnen gibt. Nichts mit Gedankenflügen, denn die Flügel sind verstaubt und entkräftet vom Umherliegen.
Mit den Jahrzehnten so eines Menschenlebens versiffen die Ideen. Aus Phantasie und Bildung werden Hirngespinste, die jeden Nerv umgarnen. Aus dem Oberstübchen verklingen die Signale, der Geist ist umnachtet, der Körper verfällt. Es sind schicke Namen für diese Vorgänge entwickelt worden – Alzheimer, Depression, Morbus Parkinson, Alterssenilität usw.
Hygiene wird in deutschen Landen riesengroß geschrieben und ist in Maßen eine feine Sache, wenn sie an verschiedenen Orten eingesetzt und so auch wieder maßvoll werden würde. Ab in die Köpfe mit Staubsauger, Wischeimer und Mülltonnen davor gestellt: die Lumpen in den Müll, Verrottetes auf den Kompost, Lüften und Entstauben. Alle Türen öffnen, Räume für einzelne Gedankenwelten klar machen und nur keine Regale oder Schränke aufstellen. Gedanken veralten schneller als Socken oder Schlüpfer, die brauchen gar nicht erst lange eingelagert werden. Und künftig kann dann jeder regelmäßig allen Stockwerken seines Oberstübchens konkrete Besuche abstatten, sich mit dem auseinandersetzen, was da so gedacht wird und gleich wieder Freiräume schaffen.
Gut, gut – ich weiß, ich bin eine Träumerin. Aber bei mir selbst kann ich ja schon einmal mit diesem Aufräum-Traum anfangen, ihn entträumen und als Tat sichtbar werden lassen. Und weil ich das bereits einige Jahre betreibe, kann ich manchmal schon drei Schichten mit einem Mal beaufsichtigen. Ich weiß, was im Untergrund gedacht wird, während dessen ich zum Beispiel mit Zähneputzen beschäftigt bin und nebenher auch noch den Schmutz auf dem Waschbecken begutachte und einen Plan fürs Badputzen entwickle. Irgendwann kann ich dann die Kraft aller zugleich laufenden Kopfarbeiten zu einer zusammenfügen und bin endlich Herrscherin über mich und mein Selbst. Das ist mein Ziel, deshalb bin ich hier.