Sonntag, 31. Dezember 2017

Stell Dich Dir selbst



Es ist wichtig, sich all seinen Eigenschaften und Emotionen zu stellen. Keine von ihnen sollte weggedrückt werden oder im Dunkel des Unbewussten gelassen. Dort, im Untergrund stellen sie oft Dummes an, bringen Krankheiten oder begeben sich plötzlich an die Oberfläche, wenn man nicht mit ihnen rechnet.
Natürlich ist es ein äußerst schmerzhafter Prozess, dieses Sich-Stellen. Es scheint einen fast zu töten, man fühlt sich als riesiges Untier. Doch die Eigenschaften und Emotionen haben sich an die Lebenskraft gebunden. Unterdrückt steht einem also auch nicht die eigene Energie vollends zur Verfügung. Doch das Auseinandersetzen mit diesen Manifestationen der Kraft bringt sie ans Licht. Sich zu ihnen zu bekennen, egal wie schrecklich sie erst einmal erscheinen, macht sie beherrschbar. Sie können so nach und nach umgelenkt werden in aufbauende Gefühle, um sie eines Tages als reine Kraft jederzeit verfügbar zu haben. Dann kann sie endlich dorthin fließen, wo sie aktuell gebraucht wird. In das Denken oder ins Saubermachen, ins Holz hacken oder in die Kampfkunst, in Freude, Ernsthaftigkeit oder Mitgefühl, und zwar zu jeweils 100 Prozent.
Aus meiner heutigen Sicht kann ich sagen: diese Art der inneren Arbeit lohnt sich.

Montag, 1. Mai 2017

Tag der Befreiung



Heute ist der 1. Mai. Die Prägung sitzt tief und so bekommt dieser Tag bei mir stets ein Anhängsel: „Internationaler Kampf- und Feiertag der Arbeiter und Bauern“; genauso, wie der 8. Mai der „Tag der Befreiung“ ist. Vermutlich übernahm ich diese Betitelungen bereits im Mutterleib und lebte sie dann aus ganzem Herzen. Sie klangen für mich nach Frieden und der Zuversicht, dass es bald allen Menschen vergönnt ist, in Frieden und ohne Hunger oder andere Not leben zu können. Das sehnte ich mir herbei und war schon als Kind bereit, gegen das Böse zu kämpfen, wie immer es auch aussehen mochte. In den Märchen waren es habgierige Wesen wie Könige, Teufel, Hexen oder Drachen. In meinem Leben hießen diese Wesen Kapitalisten, Imperialisten, Kriegstreiber. Aber auch die Waffen gehörten für mich zum Bösen. Mit diesem denken kam ich jedoch in Konflikt mit der angewiesenen Meinung. Das passierte zum ersten Mal, als ich während meiner Ausbildung zur Kinderkrankenschwester sah, wie die kleinen kranken Jungs in ihren Betten mit Pistolen oder panzern spielten. Bei einer Parteiversammlung fragte ich nach, warum wir denn in unserem Land solcher Art Kriegsspielzeug herstellten. Ein ernster Blick traf mich, darauf wurde mir aber noch milde geantwortet, weil ich ja noch so jung sei und nicht wissen könne, dass wir keine Pazifisten wären. „Noch müssen wir den Frieden und unser Land mit der Waffe in der Hand verteidigen.“ Tja, zufrieden war ich mit der Antwort nicht. Meinen Söhnen kaufte ich derlei Spielzeug nicht, konnte aber gegen die Stöcke aus dem Wald nichts tun. Als Kindergärtnerin in einem kleinen Dorf entsorgte ich nach und nach das Armeespielzeug, obwohl es zur „normalen“ vorgeschriebenen Ausstattung gehörte. Ich versuchte den Kindern ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie es ist, totgeschossen zu werden. Ihr Drang nach „Schießen“ war stärker, sie „schossen“ mit Stöcken „nur“ auf Tiere.
Als dann die Mauer brach, erlaubte ich meinem Ältesten für 10,- DM etwas zu kaufen, was er sich ganz allein aussuchen konnte. Stolz zeigte er mir einen Trommelrevolver mit Zündplättchen. Der lag dann viele Jahre in seiner Schreibtischschublade. Ich weiß nicht, ob er gar heute noch existiert.
Mein Sohn und ich sind den Kampfkünsten zugetan, praktizieren sie. Bin ich nun meiner pazifistischen Grundhaltung untreu geworden? Für mich ist meine Ausbildung zum Aikidoka (auch mit Schwert und Stock), keine Ausbildung zur Mörderin. Im Gegenteil, sie macht mich friedfertiger, als ich es früher war, denn ich erkenne immer deutlicher, dass der eigentliche Feind in mir selbst steckt. Er nörgelt, meckert, wütet mit den Menschen um mich herum oder auch mit mir – je nach Laune. Diesen inneren Bösewicht werde ich eines Tages gänzlich überwunden haben. Und wer weiß  vielleicht ist das dann mein eigener Tag der Befreiung.

Freitag, 28. April 2017

Die eigne Melodie



Heute höre ich den Sprosser zum ersten Mal in diesem Jahr deutlich. Vermutlich ist er schon einige Tage hier, doch ich war mir nicht sicher, ob ich seinen Gesang hörte oder den der Singdrossel. Vermutlich braucht auch er eine gewisse Betriebstemperatur, um seine eigenen Melodien zu finden.

Ich hätte auch gern endlich meine ureigenste innere Melodie gefunden, die ich dann ohne Scheu ins Außen trage. Immerhin bin ich schon so weit gekommen zu wissen, dass es sie gibt und manches Mal höre ich einige Sequenzen im Untergrund. Doch wenn ich sie mit Macht nach draußen schmettern will, kommen Misstöne hinzu. Dann klingt meine schöne, sanfte Melodie nach Trotz und Urteil, wird zum Angriffston schlecht gespielter Fanfaren. Flink stelle ich diese Musik ab, um erst einmal wieder nach innen zu gehen, ihr besser zuzuhören, mich von ihr leiten zu lassen, damit sie stärker werden kann ohne Krampf und Muss. Vertrauen darauf, dass sie weiß, wann es Zeit ist, sie nach außen zu bringen. Geduld gehört dazu, eine Geduld, die jenseits dieser Welt liegt, denn sie nennt sich mit vollem Namen „unendliche Geduld“. Hier, in meiner Welt aus Plus und Minus, aus Fertig werden müssen und Leistung zeigen, gibt es nichts Unendliches. Alles ist endlich und hoffentlich endlich schnell erledigt. Jedoch in mir erzählt etwas von einer anderen Welt, die mehr Substanz besitzt, weil sie nichts mit Materie zu tun hat. Hier ist das Unendliche zu Haus und von hier aus entwickelt sich meine Melodie. Sie macht mich frei von Muss und Soll, befriedet mich.

Danke, kleiner Sprosser, dass du mich an sie erinnert hast.

Freitag, 7. April 2017

Das Grenzenlos



Vor langer Zeit, irgendwann und irgendwo, zog ich ein Grenzenlos und ward seither begrenzt. Begrenzte Sicht, begrenztes Handeln, es hatte mich im Griff. Das begriff ich aber ewig nicht, meinte, es sei normal, in die Schranken gewiesen zu werden, beschränkt zu sein. „Menschen können nicht fliegen“ und ich saß fest auf einer Stelle, die sich nur scheinbar veränderte. Der Schein, der einen stets nur trügt, ich sah ihn nicht und glaubte meinem Los, auf dass ich niemals losging und so an meinen Ketten hing, in meinem Grenzland gelandet, gestrandet. 
Erst als ich dort immer schwerer lebte, die Beine kaum noch heben konnte und spürte, dass ich zu stark an der Erde klebte; erst als ich mich nur durch Schmerzen fühlte, mein Herz mich nur noch kühlte, erwachte ich zu neuem Sehen. Ich sah den Schein, ich sah die Enge und die Länge meiner Grenzen, die überhaupt nicht langte für mich, für mein wahres Ich.
So nahm ich mir mein Grenzenlos und schrieb es um.
Ich machte diese Grenzen klein, um endlich grenzenlos zu sein.

Sonntag, 22. Januar 2017

Verlorener Raum



Ich habe meinen Schreibraum geschlossen.
Keine Gedichte zu spüren, keine Geschichte in Sicht.
Ohne sie hab ich kein Ich.
Warum tue ich mir das immer wieder an? Werf die Tür zu und denk nicht mehr dran.
Vergess mich und füll mich mit andern,
doch die wollen lieber zu sich selbst abwandern.
Lass ich sie gehen, bin ich leer.
Hab die Tür zugeworfen, denk nicht mehr dran und tu mir denselben Mist immer wieder an.
Will ich nicht in den Andern untergeh’n, muss ich wohl endlich nach mir seh’n,
meinen Raum besetzen und meine Sprache auffinden,
mich mit ihr von Innen benetzen, sie nach außen fließen lassen.
So leuchten wieder die Gänge und Gassen in meinem Kopf,
aus jedem Winkel strömen die Wörter
binden sich, winden sich und geben mir endlich wieder ein Ich.

Vom (einig) Werden



Will ich das Licht sehen, sollte ich aus dem Dunkel heraustreten und aufs Licht schauen.
Will ich Frieden, steht es außer Frage, dass ich dafür friedlich denken muss.
Will ich Liebe, dann bekomme ich sie nur, wenn ich lieben kann.
Kein Mensch kann Frieden, Liebe oder Licht wahrnehmen, wenn er sich mit Angst, Wut oder Hass gefüllt hat.
Ich mach die Augen zu, wenn ich Wesentliches sehen möchte. Die Augen schauen mir oft zu körperlich. Nur manchmal schaffe ich es, durch sie hindurch auf das Dahinter zu blicken. Gebe ich der Materie den Vortritt, sehe ich stets Getrenntes; Dinge, die sich voneinander unterscheiden, Menschen, die sich absolut nicht gleichen. Will ich auf dieser Erde leben, muss ich alles unterscheiden können und den Schmerz der Trennung akzeptieren. Der Schmerz wird immer unwichtiger, je mehr ich erfahre, dass hinter dem Geteilten ein Ganzes steckt, was alles verbindet. Das wiederum kann ich erfahren, je besser ich auf meine Gedanken aufpasse, die gar zu gern hin zur Angst, zur Wut und zum Hass laufen wollen. Sie sind das gewohnt, der Weg dorthin ist in jahrelanger Arbeit breitgetreten. Doch ebenso arbeite ich an einem anderen Pfad, der ebenfalls in mir angelegt ist. Ich brachte ihn mit auf die Erde und brauche ihn „nur“ wieder freilegen. Dabei verwächst sich der andere Weg und die Gedanken kommen williger mit dorthin, wo ich es ihnen sage. Letztendlich tut es uns allen gut – meinem Denken, meinen Gefühlen und … mir.